West-östlicher Limon

Premiere von Stefan Signers «I go to Turkey»

Das Restaurant Limon war Ort der Inspiration und nun auch der St. Galler Erstaufführung: «I go to Turkey» ist eine Liebeserklärung an die Türkei im Allgemeinen und an besagte Lokalität samt Wirt Mahmut Özdemir im Besonderen – allerdings mehr in Worten als in Tönen.

Von Markus Metzler

Eigentlich ist Zusammenrücken angesagt. Aber in gleichem Masse, wie der allzeit joviale Patron Mahmut Özdemir stets neue Stühle herbeizaubert, das schweizerisch-türkische Publikum auf engste Tuchfühlung zueinander geht, bleibt sich das Instrumentarium auf der kleinen improvisierten Bühne fremd.

Das Bild hat Symbolwert: hier dickbauchiges Schlagwerk orientalischer Provenienz und die schlankhalsige Saz, lautenartiges Basisinstrument fast aller türkischen Volksmusik, da Keyboard und akustisches Piano, dazwischen dräuen Verstärkeranlage und Mischpult – sie alle wollen sich nicht so recht näher kommen im Verlauf des Abends, weder räumlich noch musikalisch.

Hintersinnige Melange
Was von Komponist Stefan Signer alias Infrasteff so wohl auch beabsichtigt ist. Einmal, weil sich die dem Projekt ursprünglich zugrunde liegende « Limon Music Instrumental Extravaganza» für Sopran, Flöte und Klavier zum später dazugestossenen türkischen Trio, angesiedelt zwischen Volksmusik und Schlager, als wenig kompatibel erweisst, zum anderen, weil Infrasteff sein Werk überhaupt vor jeglichen modischen Cross-over-Einflüssen sorgsam abschirmt. Die gibt es, selbst wenn es auf den ersten Blick anders scheinen mag, auch nicht in den Texten und den Ansagen zur Musik, die Signer in der Rolle als Conferencier, Kommentator und Reiseleiter in einem mit perfektem anatolischem Dialekt mehr liebeswürdig denn karikierend vorträgt. Deutsches, Türkisches, Englisches verschmelzen in den verschiedensten Färbungen zur hintersinnig-komischen Melange.

Fremdenführer-Plattitüden
Eine gewisse Ähnlichkeit zu den Eindrücken, wie sie den Zugereisten nach dem siebten Raki zu vorgerückter Stunde in einer schwülen Bosporusbar befallen mögen, ist in «I go to Turkey» vielleicht sogar beabsichtigt: Reales mischt sich mit frei Assoziiertem, Klischiertes mit sanft Surrealistischem. Dem «Handymaschin» kommt dabei zentrale Bedeutung zu, wenn er in «Nedir mutluluk? (Was ist Glück?)» die Distanz zwischen Trabzon und dem «Restorant Limon » schwinden lässt, in «Hep üzgünüz (Oft traurig)» die Stimme der Liebsten in die Weiten der Steppe holt. Natürlich dürfen auch die dunklen Schnauzbart-Männer, die den holländischen Touristinnen näher zu kommen trachten, nicht fehlen, und zum Höhepunkt geraten die «Lowbrow Snacks», in denen sich poetische Beschreibungen der Schwarzmeerlandschaft mit absurden Fremdenführer-Plattitüden in immer schnellerem Wechsel ablösen.

Sinnliche Volksmusik
Und die Musik? Kantig ist sie, schwer einzuordnen zwischen Bartók, Stawinsky, Jazz und einer spitzig-listigen Klanglichkeit, die auf Transparenz und Überschaubarkeit zielt und einen doch jederzeit in ihren Bann schlägt. Orientalische Einflüsse sind als Spurenelemente auszumachen, etwa in den fliegenden Melodien, welche die Sängerin Jennifer Davison souverän meistert, oder im rhythmisch intrikaten Wechselspiel von Flöte (Klaus Durrer) und Klavier (Danrew Dunscombe), das die beiden Instrumentalisten als ebenso sattelfest wie durchschlagskräftig ausweist. Dagegen öffnen Feti Neco, Nuro Canbegi und Tayfun Korkmaz den Himmel, wenn die keyboardgestützten, silbrigen Klänge des Saz und die kunstvoll gekräuselten Melodien des Sologesangs mehr als nur eine Ahnung von der Sinnlichkeit echter Volksmusik verbreiten. Selbst wenn sie auf Deutsch singen, verliert ihre Musik weder an Eigenständigkeit noch an Ausdruck. Der Reaktion der türkischen Gäste war es jedenfalls anzumerken: Der Heimwehfaktor, in Signers Stück eher mit Charme und Ironie verbrämtes Beiwerk, kommt hier voll zum Tragen.

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