Mit Infrasteff in die Türkei
Musikalische Extravaganzen im Restoran Limon

In den Siebziger und Achtziger Jahren machte sich Stefan Signer alias Infrasteff mit unzähligen Formationen einen Namen als Querdenker zwischen U- und E-Musik. Nach zehnjähriger Funkstille steht er nun wieder auf der Bühne. Oder präziser: Im Restoran Limon.

Von Kaspar Surber

skater people order lowbrow snacks
a man in black outside sells his crack
a Chinese girl asks for a cheap place to stay
cosmopolitan greeting all day
Mahmut smiles and looks outside
caresses his handy with full delight
this takes places at the hottest place in town
LIMON RESTORAN

Wer sich nichts- oder zumindest wenig ahnend auf ein Gespräch mit Stefan Signer über dessen musikalische Vergangenheit einlässt, dem tun sich bald Falltüren auf, und kaum in eine solche hineingestürzt, reissen gleich auch noch die wenigen musiktheoretischen Sicherheitsstricke: Was um alles in der Welt ist INFRA STEFFS GROSSER SAMSTAG ORCHESTER? Wer wirkte alles in INFRA STEFF’S RED SANDWICH COMBO mit? Wie genau tönt ORCHESTRAL SNACK MUSIC? Und was um Himmels Willen ereignete sich am SPÄTEN NACHMITTAG IM PARADIES?
Weil man zur ausführlichen Erklärung all dieser Formationen und Begriffe mindestens ein ganzes Heft brauchen würde und weil es hier mehr um Infrasteffs Zukunft denn um seine Vergangenheit geht, mag eine Kurzformel genügen: Signer, 1951 in Hundwil geboren, musikalisch zwischen Strawinsky und den Beatles aufgewachsen und später von Frank Zappa geprägt, dominierte mit seinen Formationen, die vor allem durch ihre konzeptionelle Arbeit bestachen, mehr als ein Jahrzehnt die Schweizer Rockszene. Zugleich befasste sich Signer mit den Komponisten der Moderne und zog sich selbst in den Achtziger Jahren immer häufiger das Komponistenjackett über: Er komponierte seriöse Kammermusik und Orchesterwerke, baute zudem die Musikförderung der Migros mit auf – bis er musikalisch 1992 von einem Tag auf den andern den Stecker zog. Es gäbe Probleme im Leben, die man mit sich herumschleppe und denen man sich irgendwann stellen müsse, erinnert sich Signer. Nun, beinahe ein Jahrzehnt später, kehrt Infrasteff zurück. «Es gibt irgendwas, was einem Musik machen lässt. Das war 1992 plötzlich weg, nun ist es wieder da.»

I go to Turkey
Anfangs des letzten Jahres begann Signer wieder zu komponieren, und was dann passierte, hört sich ein wenig an wie ein Märchen, wie ein türkisches genauer: Inspiriert von den Aufenthalten in türkischen Imbissbuden und seinen Reisen ins Land am Bospurus stellte er sein neues Werk unter den Titel «I go to Turkey» und schrieb dazu Texte, die er beim Warten auf den Kebap aufschnappte und aus Reiseführern zusammenzog. Am 11. November konnte von befreundeten Musikern in Luzern bereits der erste Teil der «Limon Music Instrumental Extravaganza» aufgeführt werden. Als Signer gleichentags dem St.Galler Tagblatt erklärte, dass ihn das Linsebühl-Lokal Limon am meisten zur Komposition inspiriert habe und er das Werk folglich, wenn in St.Gallen, dann am liebsten dort aufführen würde, kam plötzlich unerwartete Dynamik ins Projekt. Mahmut Özdemir, der Betreiber des Limon, war sofort von der Sache begeistert und unterstützte Infrasteff fortan mit Rat und Tat. Eine türkisches Trio, das neben den Kammermusikern das Werk aufführen soll, wurde aufgetrieben, das Stück immer weiter ausgebaut, eine Aufführung ins Auge gefasst, billig-bunte Plakate gedruckt – und zuguterletzt erschien sogar im türkischen Massenblatt «Hürriyet» ein Bericht über die Geschichte.

Aufführung Ende März
Worum genau geht es nun im neuen Stück? Zur Beantwortung dieser Frage, zieht Signer noch einmal sein, wie er es nennt, «früheres Leben» herbei. «Damals drehten sich viele unserer musikalischen Projekte um das Wort ‘Gas Station. Anfänglich, Ende der Sechziger Jahre, in Zeilen wie ‘I gonna work no more at the Gas Station’, hat die Tankstelle als Projektionsfläche für den Zorn auf die Industrie gedient. Später dann, etwa im Album ‘More Music from the Gas Station’ ist die Tankstelle – als Ort der Ruhe und Einkehr im Hopperschen Sinn – zu einer positiven Referenz geworden.» Ganz ähnlich sei es nun mit der Floskel «I go to Turkey». Sie eigne sich überraschend gut, um daran eigene Sehnsüchte, aber auch gesellschaftliche Veränderungen festzumachen. Die selbstbewussten Gastarbeiter am Handy, die Völkervermischung, ein Hauch von grosstädtischem Leben, all dass kann ins Werk eingeschlossen werden. Die Begeisterung in und ums Limon ist Beweis genug, dass Signer mit seiner neuen Arbeit tatsächlich den Nerv der Zeit getroffen hat: Dass das kleine Limon bei der Aufführung gerammelt voll sein wird, ist schon jetzt klar. Und dass das Projekt weitergeht, ebenfalls: Bereits hat sich eine St.Galler Band bei Signer gemeldet, welche den eingangs zitierten Limon-Song, der nicht mehr in die Aufführung eingebaut werden konnte, in ihr Repertoire aufnehmen will.

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